Die Weltmeisterschaften in Bremen boten Facetten, die sonst in Sachen Kunstradsport und Radball kaum jemand erwartet hatte. Beispiel: 1er Männer am finalen Sonntag. Lukas Kohl, seit 2016 unbesiegt, fand gleich zwei Bezwinger. In der Quali gewohnt souverän (210,20 Punkte) musste sich der „Lukinator“ hinter Emilio Arellano und Philipp-Thies Rapp mit Bronze zufriedengeben. Als der Punktestand bei seiner 5-Minuten-Kür immer mehr nach unten driftete (am Ende 187,00), schien sich eine Art Ungläubigkeit bis Ohnmacht unter Fans und Beobachtern breit zu machen. Kann das
sein? „Beim Vorkampf hatte ich den Boden im Griff, im Finale nicht. Bis unmittelbar vor dem Start wollten Kinder Autogramme, unterhielten sich Leute lautstark neben mir. Das macht mir sonst nichts aus, aber diesmal war es die Summe. Ich kam nicht in den Tunnel und der Kampf wurde immer schwerer.“ Dann huschte doch ein Lächeln über das Gesicht des siebenmaligen Champions. „Die Bronzemedaille steht mir auch.“
Bei der Feier der drei Musketiere nach der Performance klang „Eviva Espana“ aus den Lautsprechern. Und Emilio Avellano, der in Herrenberg lebt und vom Papa betreut wird, war restlos baff. „Ein unglaubliches Gefühl und ich zittere immer hoch und hätte mir diesen Titel nie träumen lassen.“ An der „Fiesta“ hatte auch Philipp-Thies Rapp, der Aufsteiger der Saison, seinen Anteil. Silber vor Lukas – das nochmals zur Erinnerung… „Mir war die Platzierung gar nicht so wichtig – und beim Drehsprung wollte ich zu viel und wusste: das wird jetzt nichts mehr – aber ich habe ja noch ein paar Jahre.“
Noch so ein Ding in der ÖVB-Arena, das die Menschen von den Sitzen riss, war daslogische Radball-Finale Deutschland – Österreich. Stets lagen Bernd Mlady und Raphael Kopp in Front, spielten druckvoller als im ersten Vergleich und zementierten mit dem Tor zum 5:2 Gold in den Beton – die Halle bebte, pure Ekstase für das neu formierte Team. Gibt es denn sowas? Ja. „Wir sind erst seit Januar zusammen und da ist der Erfolg nicht selbstverständlich“, meinte Bernd (schon zweimal mit Cousin Gerhard Champion). Partner Rapha (2023 mit André auf Platz 1): „Wir wollten dominieren und der Schlüssel zum Erfolg war, dass wir uns getraut haben, das Ding an uns zu ziehen.“ Der Applaus galt aber auch Patrick Schnetzer und Stefan Feurstein aus Vorarlberg, denen die einzige Niederlage ausgerechnet im Endspiel zum Verhängnis wurde.
Radball: 9:1, 9:0, 6:2…
„Ich hoffe, dass ganz viele junge Mädels zugeschaut haben, denn das Niveau hier war schon klasse.“ Radball-Bundestrainer Jörg Latzel sieht „wirklich Zukunft“ für diesen jungen Sport. Erst recht, weil Judith Wolf und Danielle Holzer die (fast erwartete) WM-Goldmedaille in Bremen einfuhren. Und wie. 8:0, 2:0, 5:2, 9:1, 9:0, 6:2 die Resultate der Spielgemeinschaft Prechtal (Elztal) und Hofen (Ostalb). „Sie waren spielerisch, technisch und taktisch die Besten“, sagt Latzel, während die Damen, die seit vielen
Jahren ein Gespann bilden, nie Erlebtes in sich aufsogen. Eine Minute vor dem Schlusspfiff bat Moderator Jens Zimmermann die Fans in der ÖVB-Arena sich zu erheben. Standing Ovations durch 4500 Zuschauer für Radball der Frauen – reif für das Guinnessbuch der Rekorde. Mehr Gänsehaut ging nicht – für Judith und Danielle, deren Namen die Kiebitze bei jedem Torerfolg skandierten.
Noch einmal Gold & Silber
Mit dem erwarteten Sieg des favorisierten Duos Antonia Bärk/Henny Kirst, aber durchaus spannend verlief die Entscheidung im Zweier Frauen. Denn in der Vorrunde war das zweite deutsche Paar (Kim Schlüter/Nele Jodeleit) der nationalen Konkurrenz doch recht nahegekommen und hatte sich sogar einen hauchdünnen Vorsprung verschafft (123,30 – 123,06).
Nachdem Schlüter/Jodeleit mit 125,50 im Finale vorgelegt – und sich damit vor den Schweizerinnen Simona Lucca/Larissa Tanner (113,50) zumindest die Silbermedaille gesichert hatten, kamen die Favoriten: Obwohl wie ihre deutschen Konkurrentinnen erstmals bei einer WM vertreten, fuhren Bärk/Kirst ihr Programm weitgehend sicher und holten mit 128,60 Punkten den Titel.
„Es war schon eng, aber das hat es spannend gemacht“, meinte eine lachende Henny Kirst. Ihre nicht minder glückliche Teamkollegin Antonia Bärk suchte derweil noch nach Worten: „Da arbeitet man so lange darauf hin, und dann ist es doch überraschend.“
Was die Stimmung betraf, konnten die mit dem Siegerpaar befreundeten Vizeweltmeisterinnen durchaus mithalten. „Wir wollten diesen Titel haben“, gab Kim Schlüter zu Protokoll. Derweil räumte Nele Jodeleit ein, dass Zielsetzung und Erwartungen nicht unbedingt deckungsgleich waren: „Erwartet hatten wir das nicht.”
Textquelle: Intern. Sport-Korrespondenz
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Bildquelle: Wilfried Schwarz